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  • 03.09.2014

BGH: Verpflichtung der beratenden Bank zur Aufklärung über die Möglichkeit einer zeitweiligen Aussetzung der Anteilsrücknahme durch die Fonds-Gesellschaft bei einem offenen Immobilienfonds

Der 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 29.04.2014; Az.: XI ZR 477/12, ein anlagerfreundliches Urteil gefällt, mit dem er einen in Rechtsprechung und Literatur schwelenden Streit entscheidet. Eine Bank, die den Erwerb von Anteilen an einem offenen Immobilienfonds empfiehlt, muss den Anleger demnach ungefragt über die Möglichkeit einer zeitweiligen Aussetzung der Anteilsrücknahme durch die Fondsgesellschaft aufklären.

Die Möglichkeit der zeitweiligen Aussetzung ergibt sich aus § 257 Kapitalanlagengesetzbuch (KAGB), ehemals § 81 Investmentgesetz (InvG aF). Verlangt der Anleger, dass ihm gegen Rückgabe des Anteils sein Anteil am Immobilien-Sondervermögen ausgezahlt wird, so hat gemäß § 257 Abs. 1 S. 1 KAGB eine AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft (AIF = Alternativer Investmentfonds) die Rücknahme der Anteile zu verweigern und auszusetzen, wenn die Bankguthaben und der Erlös der nach § 253 Abs. 1 KAGB angelegten Mittel zur Zahlung des Rücknahmepreises und zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen laufenden Bewirtschaftung nicht ausreichen oder nicht sogleich zur Verfügung stehen.

Die Klägerin begehrte von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Anteilen an einem offenen Immobilienfonds (nachfolgend: „Fonds“). Im März 2008 hatte sich die Klägerin von einer Mitarbeiterin der Rechtsvorgängerin der Beklagten über eine Kapitalanlage beraten lassen. Die Beraterin empfahl seinerzeit den Fonds, ohne darauf hinzuweisen, dass die Rücknahme der Fondsanteile durch die Kapitalanlagegesellschaft ausgesetzt werden kann, woraufhin die Klägerin in Unkenntnis diese Umstands Anteile erwarb. Im Oktober 2008 wurde die Rücknahme Fondsanteile durch die Kapitalanlagegesellschaft ausgesetzt. Die Klägerin veräußerte im Oktober 2010 ihre Fondsanteile an der Börse zu einem Kurs von nur noch ca. 30 % des Anteilswerts im Zeitpunkt des Erwerbs und beanspruchte klageweise den Ersatz der Differenz zwischen dem Kurswert der Anteile bei Erwerb und dem im Oktober 2010 erzielten Erlös nebst Zinsen von der Beklagten. Sie argumentiert, die Empfehlung eines offenen Immobilienfonds als grundsolide und wertbeständige Anlage sei bereits im Jahr 2008 nicht mehr gerechtfertigt gewesen. Darüber hinaus habe sie über die Möglichkeit einer Aussetzung der Anteilsrücknahme und über das Risiko eines völligen Anlageverlustes aufgeklärt werden müssen.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihre in den Vorinstanzen erfolglose Klage vollumfänglich weiter. Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, dass die Beratung der Beklagten – ex ante betrachtet – nicht fehlerhaft, sondern vertretbar gewesen sei. Die Anlage in einen offenen Immobilienfonds, dessen Immobilienbesitz über zehn Staaten gestreut sei, habe die Beklagte im März 2008 als risikoarme Anlage empfehlen dürfen. Die offenen Immobilienfonds seien erst in Folge der Finanzkrise ab Herbst 2008 in Schwierigkeiten geraten. Die Möglichkeit einer dauerhaften oder vorübergehenden Aussetzung der Anteilsrücknahme habe zum damaligen Zeitpunkt kein die Kundenentscheidung nach vernünftigem Ermessen beeinflussendes, aufklärungspflichtiges Risiko dargestellt.

Der BGH gibt der Revision statt. Insbesondere lasse sich mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 280 Abs. 1 BGB nicht verneinen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts habe die Beklagte die Anleger nicht objektgerecht beraten und damit ihre Pflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Kennzeichnend für regulierte Immobilien-Sondervermögen sei, dass die Anleger gemäß § 37 Abs. 1 InvG aF (nunmehr § 187 Abs. 1 Nr. 1 KAGB) ihre Fondsanteile grundsätzlich jederzeit liquidieren und deren Rückgabe zu einem geregelten Rücknahmepreis an die Kapitalanlagegesellschaft verlangen könnten (sog. Open-End-Prinzip). Von diesem Grundsatz mache § 81 InvG aF eine Ausnahme. Danach werde der Kapitalanlagegesellschaft bei nicht ausreichender Liquidität das Recht eingeräumt, die Rücknahme der Anteile vorrübergehend zu verweigern mit der Folge, dass die Anleger ihre Fondsanteile nicht mehr zu dem gesetzlich bestimmten Rücknahmepreis zurückgeben könnten. Über dieses Risiko habe die Bank den Anleger im Rahmen der von ihr geschuldeten vollständigen Risikodarstellung in verständlicher Weise aufzuklären.

Ob hier zum Zeitpunkt der Beratung im März 2008 bei dem Fonds bereits konkrete Anhaltspunkte für eine bevorstehende Aussetzung der Anteilsrücknahme vorgelegen hätten, sei für das Bestehen dieser Aufklärungspflicht ohne Bedeutung. Der Umstand, dass die Anleger eines offenen Immobilienfonds ihre Anteile während einer Aussetzung der Anteilsrücknahme jederzeit an der Börse veräußern könnten, spreche ebenfalls nicht gegen die Pflicht der Bank, über die Möglichkeit einer solchen Aussetzung aufzuklären. Die Revisionserwiderung weise zwar zutreffend darauf hin, dass die Anleger damit weiter die Möglichkeit hätten, ihre Anteile jederzeit zu liquidieren. Diese Möglichkeit stelle aber angesichts der an einer Börse oder an einem sonstigen Sekundärmarkt bestehenden Beeinflussung des Preises durch spekulative Elemente keinen gleichwertigen Ersatz für die gesetzlich geregelte Möglichkeit dar, die Anteile zu einem vorab festgelegten Rücknahmepreis an die Kapitalanlagegesellschaft zurück zu geben. Dem Anleger werde die Liquidität seiner Fondsanteile im Fall einer Aussetzung der Anteilsrücknahme daher nicht mehr mit der Qualität eines vorab im Gesetz bestimmten Rücknahmepreises gewährleistet.

Das Urteil verschafft in einem umstrittenen Einzelpunkt Rechtsklarheit. Es zeigt aber auch, dass Verfahren im Kapitalanlagenbereich äußerst vielschichtig sind: Der BGH war für die Parteien keineswegs die „Endstation“. Zu den Fragen, ob die Klägerin durch eine schriftliche Kundeninformation zeitnah über das Bestehen der Möglichkeit einer Aussetzung der Anteilsrücknahme informiert wurde und ob die zu unterstellende Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten für die Anlageentscheidung der Klägerin ursächlich war, habe das Berufungsgericht keine abschließenden Feststellungen getroffen. Der BGH hob daher das Berufungsurteil auf und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.


Philipp Wackerbeck, Rechtsanwalt

Dr. Johannes Wilkmann, Rechtsanwalt

 

Foto von Joe Miletzki