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  • 18.09.2012

BGH kehrt der Rückvergütungsrechtsprechung bei Zertifikaten weiter den Rücken zu – BGH XI ZR 316/11

Seit diesem Sommer ist eine weitere Entwicklung in der in letzter Zeit so oft relevanten und von Rechtsanwälten in Anlegerfällen gerne vorgetragenen Kick-Back-Rechtsprechung festzustellen. Stärkt der 11. Senat des BGH auch weiterhin die Rechte von Anlegern geschlossener Fonds, die nicht über die Vereinnahmung von Rückvergütungen (sog. Kickbacks) durch ihre Berater aufgeklärt wurden, so wird zukünftig der Vortrag versteckter Rückvergütungen bei Zertifikaten und wohl auch anderen Wertpapieren wie Investmentfondsanteilen nur noch in Einzelfällen zielführend sein.

Anleger geschlossener Fonds haben weiterhin gute Erfolgsaussichten, wenn sie sich auf die fehlende Aufklärung von Rückvergütungen gegenüber ihren Banken berufen. Mit Urteil vom 8. Mai 2012 (BGH XI ZR 262/10) wird nicht nur die Pflichtverletzung eines Beraters bei fehlender Aufklärung über hinter dem Rücken vereinnahmte Provisionen erneut nachdrücklich bestätigt, sondern darüber hinaus nimmt der BGH den Banken den bis dato oftmals streitgegenständlichen Vortrag, bei pflichtgemäßer Aufklärung habe der Anleger verschiedene Handlungsalternativen wählen können, die eine Vermutung für ein aufklärungsrichtiges Verhalten des Anlegers entkräften würde. Damit ist den in diesen Fällen beklagten Banken eine weitere Verteidigungsmöglichkeit und Anlegern eine vermeintliche Hürde eines Klageverfahrens genommen worden.

Auf der anderen Seite wird den Anlegern, die mit Wertpapieren wie Zertifikaten und Investmentfondsanteilen in der Vergangenheit Verluste erlitten haben, eine Berufung auf die Rückvergütungsrechtsprechung zukünftig wohl nur noch in Ausnahmefällen zum Erfolg verhelfen. Spätestens seit den Urteilen vom 27. September 2011 (u.a. BGH XI ZR 178/1 und BGH XI ZR 182/10) ist ein Anspruchsbegehren wegen verschwiegener Rückvergütungen stetig erschwert worden. Die Tatsache, dass eine Bank Wertpapiere zunächst selber kauft und sie dann an die Kunden weiterveräußert (sogenanntes „Festpreisgeschäft“), begründet – anders als bei Provisionen und Rückvergütungen im Kommissionsgeschäft bei geschlossenen Fonds – regelmäßig keine Pflichtverletzung der Banken, da diese nach Auffassung des BGH auf ihre eigene Gewinnmarge gerade nicht hinweisen müssen. Seit den ersten Lehman-Entscheidungen des BGH aus Herbst 2011 fallen Festpreisgeschäfte aus der Rückvergütungsrechtsprechung eindeutig heraus.

Waren Anleger insoweit zumindest bei Kommissionsgeschäften – im Unterschied zu Festpreisgeschäften – weiterhin optimistisch, so wurde diese Hoffnung nunmehr durch das Urteil des 11. Senats vom 26. Juni 2012 (BGH XI ZR 316/11) weiter getrübt. Im Leitsatz 2 des Gerichts urteilen die Richter nunmehr, dass auch, wenn dem Zertifikaterwerb ein Kommissionsgeschäft zwischen dem Anleger und der Bank zugrunde liegt, keine Aufklärungspflicht über erhaltene Vergütungszahlungen des Emittenten besteht, sofern es sich dabei nicht um eine Rückvergütung im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze handelt.

Der aktuelle Leitsatz lässt jedoch weiter Raum für Spekulationen und verschiedene Argumentationen. Aus dem 2. Halbsatz ist eindeutig abzulesen, dass der BGH keine uneingeschränkte Ablehnung der Kickback-Rechtsprechung für Zertifikate (und wohl auch andere Wertpapiere) beabsichtigt, sonst hätte der Senat diesen Halbsatz nicht formulieren müssen. Es muss wohl davon ausgegangen werden, dass es zukünftig um die Frage gehen wird, welche Art von Kommissionsgeschäft vorliegt. Liegt ein Kommissionsgeschäft vor, in dessen Zusammenhang Rückvergütungen im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze gegeben sind, so scheint der BGH eine Pflichtverletzung entsprechend seiner Rechtsprechung zu geschlossenen Fonds annehmen zu wollen. Die Anleger könnten weiterhin auf eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer Ansprüche hoffen.

Fraglich ist nur, was der BGH mit „Rückvergütung im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze“ meint.

Im Rahmen der letzten Entscheidungen des 11. Senats sind Rückvergütungen stets wie folgt definiert worden: „Aufklärungspflichtige Rückvergütungen liegen nur dann vor, wenn Teile der Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an die Gesellschaft zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank umsatzabhängig zurückfließen, so dass diese ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes Interesse hat, gerade diese Beteiligung zu empfehlen.“ Im Beschluss vom 9. März 2011 (BGH XI ZR 191/10) führte der BGH weiter aus, dass Rückvergütungen anders als Innenprovisionen nicht im Anlagebetrag enthalten sind, sondern aus „offen ausgewiesenen Provisionen“ gezahlt werden.

Der nunmehr im Urteil vom 26. Juni 2012 zu findende 2. Halbsatz des Leitsatzes 2 müsste dahingehend ausgelegt werden, dass bei Kommissionsgeschäften, deren Abrechnung offene Provisionen aufweisen (beispielsweise Ausgabeaufschläge) Rückvergütungen im Sinne der BGH-Rechtsprechung vorliegen und mithin eine Pflichtverletzung gegeben ist, wenn die Bank die Vereinnahmung dieser Gelder nicht gegenüber dem Kunden offenlegt.

In der Konsequenz leuchtet diese differenzierte Betrachtung bei Kommissionsgeschäften jedoch nicht ein, denn dies würde bedeuten, dass Banken die lediglich auf ihren Abrechnungen einen „Gesamtpreis“ (zumeist als Kurswert auf den Abrechnungen bezeichnet) aufweisen, keine Rückvergütungen im Sinne der Rechtsprechung beinhalten, während solche Banken, die Ausgabeaufschläge oder anderweitige Provisionen neben einem Kurswert offen ausweisen, eine Pflichtverletzung im Sinne der Rechtsprechung zu Rückvergütungen begehen. Schlussendlich wird damit die Bank, die die Zusammensetzung des Wertpapierpreises aus Preis und Kosten verschleiert, bevorteilt, denn sie hat nach derzeitiger Rechtsprechung unabhängig von der Vorlage eines Festpreis- oder Kommissionsgeschäftes nichts mehr zu befürchten, da es sich definitionsgemäß nicht um eine „Rückvergütung“ handelt.

Die zunächst einmal vom BGH aufgrund von bestehenden Interessenkonflikten im Rahmen einer Kundenberatung entwickelte Rechtsprechung verliert nunmehr – so scheint es – immer mehr das eigentliche Ziel aus den Augen. Für den Anleger – und auf dessen objektiven Empfängerhorizont sollte es ankommen –, ist der Interessenkonflikt einer Beratung in allen geschilderten Fällen und unabhängig ob Wertpapier oder geschlossener Fonds identisch. Ein Berater, der die eigenen Vergütungseinnahmen aus dem beratenden Geschäft nicht offenlegt, versperrt dem Anleger eine objektive Einschätzung der ihm zuteilwerdenden Beratung. Aus Sicht des Anlegers sollte zwischen geschlossenen Fondsprodukten und anderen Wertpapiergeschäften nach WpHG keinerlei Unterschied gemacht werden.

Betroffene Anleger sollten unabhängig von dieser Rechtsprechung einen qualifizierten Rechtsanwalt zur Prüfung möglicher Ansprüche hinzuziehen. Jedem Anleger könnten auch aus anderen Gründen Schadenersatzansprüche gegen die sie beratenden Banken zustehen, beispielsweise aufgrund von Prospektfehlern oder einer fehlenden Risikoaufklärung.

 

Ihr Ansprechpartner:

Dr. Thomas Durchlaub,
Rechtsanwalt, Notar, MBA
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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